Online-Akademie
zur Kultivierung der "inneren Qualitäten" des daoistischen Kung Fu
2. Schritt: „Die Tore“
Im Daoismus, frei übersetzt als „Wege“-ismus, nehmen Tore eine besondere Stellung ein.
„Tore“ werden als Abschnitte des Weges, die eine „Region“ von einer anderen trennen, verstanden. Dies können auch „Tore“ zwischen den „Dimensionen“, Ebenen sein.
Erinnert Euch: Den Weg von der Ebene der „animalischen–körperlichen Präsenz“ zur „Qi-Ebene“ sind wir schon gegangen, ohne dass wir uns das „Tor“ dazwischen explizit bewusst gemacht haben. Unter anderem werden wir dies nun nachholen.
Vorab möchte ich eine Geschichte erzählen:
Das Bild des „Drachen-Tores“ ist in China weit verbreitet. Jedes der Gebirge in China besitzt Drachen-Tore. Rein geographisch sind dies Orte, meist Pässe, die, oft mit einem von Menschen erbauten Tor versehen, das einfach so in der Landschaft steht, den „zivilisierten“ Teil des Gebirges von dem „wilden“ trennen. Durch diese Drachen-Tore kann man auch in den „mythisch-mystischen“ Teil des Gebirges gelangen, der von Einhörnern, Unsterblichen, Göttern bewohnt wird. Oft verschwanden Wanderer, wenn sie das Drachen-Tor passierten und wurden entweder nie wieder gesehen oder kamen erst Jahre später verändert wieder zurück. „Unsterbliche“ konnten das Drachen-Tor auch in die entgegengesetzte Richtung, zurück in die Welt der Sterblichen, passieren. Meist gab es aufseiten der Sterblichen eine „Herberge“, in der man „interessante“ Personen treffen konnte.
Nun die Geschichte:
Ein junger, hochbegabter Mann war auf dem Weg zur Hauptstadt um die kaiserlichen Prüfungen zur Beamtenlaufbahn abzulegen. Er machte Rast in der „Herberge am Drachen-Tor“. Am Abend gesellte sich ein merkwürdiger Mann zu ihm und zechte mit ihm. Als der junge Mann ins Bett gehen wollte, schenkte dieser Mann ihm ein Kräuter-Kopfkissen, auf dem er in der Nacht seinen Kopf betten sollte. In der Nacht träumte der junge Mann sein ganzes Leben, wie er die Prüfungen mit Auszeichnung bestand, die Beamtenleiter bis ganz oben erstieg, reich und mächtig wurde, eine große Familie gründete. Aber kurz vor seinem Tod wurde er in Intrigen verwickelt, die ihn stürzten. Er beendete sein Leben arm und einsam. Nach dem Aufwachen war der Mann verwirrt und redete mit dem Wirt der Herberge. Dieser meinte, dass dies vielleicht ein Unsterblicher oder ein Gott gestern gewesen sein könnte. Daraufhin ging der Mann zum Drachen-Tor, rief nach dem fremden Mann, und, obwohl ihm niemand antwortete, vertraute er „sein Schicksal dem Dao an“ und durchschritt das Drachen-Tor. Er erlangte Unsterblichkeit und gehört nun zu den „klassischen“ Unsterblichen des daoistischen Pantheon.
Was bedeutet dies nun für unsere Beschäftigung mit den Toren?
Tore sind Durchgänge, Passagen von „einer Seite zu einer anderen“, Wegmarkierungen. Sie können offen oder geschlossen oder nur „bedingt“ offen sein. Man muss „verstehen“, was sie verbinden/trennen, und auch, „wie“ man sie durchschreitet.
Wäre unser „junger Mann“ ans Drachen-Tor gegangen, hätte es mit dem „Spirit“ (shen), „wo ist denn nun der Typ mit dem Kissen, der soll mir mal erklären was das heute Nacht sollte“, durchschritten, wäre er wohl nur in den wilden Teil des Gebirges gelangt und im schlimmsten Fall von Wölfen gefressen worden. Da er sich aber „dem Dao anvertraute“, erreichte er den mystischen Teil des Gebirges.
Es wird wieder kompliziert.
Man muss jedes Tor „kennen und verstehen“ um es richtig passieren zu können.
Ich habe diesen Schritt wieder in 4 Schrittchen unterteilt. Wie immer geht es darum zu „verstehen“ (theoretisches Wissen) und dies dann in „wahres Wissen“ zu transformieren.
Ich möchte hier wieder eine Metapher einführen, die hilft die Komplexität dieses Themas zu veranschaulichen.
Unser „menschliches Sein“ ist wie eine Stadt.
Es gibt den materiellen Aspekt, Gebäude, Straßen, Kanalisation, Stromversorgung, Parks, usw. In einer Stadt pulsiert aber auch mehr oder weniger „das Leben“ (Qi-Ebene). Eine Stadt hat aber auch „Spirit“. Insgesamt, aber auch jeder Teil hat seinen persönlichen (Industriegebiet, Kneipen-Viertel, Banken-Viertel, Wohngebiet, Shopping-Mail, „Bahnhofs-Viertel“, usw.).
Es geht darum „seine eigene Stadt“ zu kennen, zu verstehen und so „zu gestalten“, wie man es gerne hätte.
Ausgangspunkt der „Stadterkundung“ ist immer der Stadtplan, unsere „animalische-körperliche Präsenz“ (Harmonie von Geist und Körper). Diesem folgt ein „Verständnis des pulsierenden Lebens“ (Harmonie von Körper und Qi), und, nun tritt „shen“ explizit hervor, auch vom dem, hinter dem „pulsierenden Leben“ liegenden, „Spirit“ (Harmonie von Qi und Geist). Ziel ist die „Harmonie von Geist, Körper und Qi“ zu kultivieren.